Beyond Leadership
Beyond Leadership ist ein Vorgehensmodell zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels oder Lösung eines komplexen Problems, das sowohl an der Werteebene der einzelnen Individuen als auch der Teams ansetzt.
Matthias Mölleney, Daniel Humbel und Martin Eisenhut
Kontext der Methode
Moderne Organisationen lösen sich zunehmend von traditionellen Hierarchien und funktionieren in netzwerkartigen Strukturen, die stark auf Kooperation setzen (Alvesson, Blom & Sveningsson 2017). Was das ganz konkret für die Führung bedeutet, hat das Google-Management 2011 in seinem Projekt «Aristoteles» herausgefunden (Winkler 2016, S. 111). Die Unternehmensleitung wollte wissen, was High Performing-Teams von weniger leistungsstarken Teams unterscheidet und hat verschiedenste Einflussfaktoren untersuchen lassen. Anders als erwartet, waren Faktoren wie individuelle Kompetenzen und Erfahrungen zwar wichtig, aber als entscheidend für eine nachhaltig hohe Teamleistung hat sich die sogenannte psychologische Sicherheit herausgestellt (Edmondson & Dörffer 2018). Bei diesem Ansatz geht es darum, eine Kultur innerhalb der Teams zu etablieren, die es den Mitgliedern erlaubt sich einzubringen und sich frei zu äußern, ohne negative Reaktionen seitens der Vorgesetzten und der anderen Teammitglieder befürchten zu müssen. Teams mit einer hohen psychologischen Sicherheit unterscheiden sich von anderen Teams vor allem dadurch, dass erstens alle Teammitglieder in Diskussionen ungefähr die gleichen Redeanteile haben, und zweitens durch eine stärker ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit, sich in die Denkweise und Situation der anderen Teammitglieder hineinzuversetzen. Zusätzliche Aktualität erhält die Methode durch die Auseinandersetzung mit den Folgen der COVID-19 Pandemie. Die notwendige physische Distanz hat auf der einen Seite zu einer Erfahrung von Bedrohung durch andere Menschen als potenzielle Virenträger geführt, andererseits aber auch zu vielen solidarischen Initiativen. Wichtig ist, dass aus der physischen keine soziale Distanz wird, sondern dass die gelebte Solidarität zur Stärkung von nachhaltigen, sozialen Verbindungen genutzt wird. Damit das gelingen kann, ist die Wissenschaft gefordert virtuelle Formen zu entwickeln, mit denen soziale Nähe trotz physischer Distanz aufgebaut werden kann. Experimente, die Methode Beyond Leadership im Rahmen von Videokonferenzen einzusetzen, haben gezeigt, dass die Methode ihre Wirkung auch in derartigen Settings entfaltet.
Darstellung der Methode
An dieser Stelle setzt das Konzept «Beyond Leadership» an, das ursprünglich von Patrick Cowden erfunden wurde (2018). Es ist kein «Standalone»-Format, sondern ein Vehikel, um ein bestimmtes, in der Regel vorgegebenes, Ziel zu erreichen. Der Ansatz kann zum Beispiel als Moderationsmethode oder Vorgehensmodell in einen Strategieentwicklungsprozess integriert werden oder in einen Workshop, bei dem Lösungsansätze für ein komplexes Problem gefunden und potenzielle Stolpersteine unschädlich gemacht werden sollen. Beyond Leadership hat den Fokus konsequent auf der Werteebene, und zwar sowohl auf der individuellen der beteiligten Personen als auch auf der Werteebene des Teams. Daher stammt auch der Name «Beyond Leadership», der anzeigen soll, dass traditionelle Denk-Grenzen in der Führung überschritten werden sollen. Um auf diese Werteebene zu kommen, beginnt ein Beyond Leadership-Workshop immer mit einem Check-in. Die einzelnen Schritte eines typischen Beyond Leadership-Workshops werden in den folgenden Abschnitten beschrieben (vgl. Abbildung 1). Eine ausführlichere Erläuterung des Modells und seiner Anwendung bei verschiedenen Organisationen, Ausgangssituationen, Gruppengrößen etc. enthält das Buch Beyond Leadership (Mölleney & Sachs 2019).

Check-in
Thema und Ziel des Workshops werden als «Centerpoint» bezeichnet. Dieser Fokus ist vorher definiert und allen Teilnehmenden bekannt. Beim Check-in am Anfang eines Workshops wird eine erste Beziehung der Teilnehmenden zu dem Thema hergestellt, das bearbeitet werden soll. Jeder beantwortet reihum in der Gruppe die Frage «wie geht es mir jetzt und was erhoffe ich mir ganz persönlich von diesem Workshop?» Wichtig ist, dass jeder zu Wort kommt und sich frei äußern kann, ohne dass der Beitrag kommentiert oder bewertet wird.
Workshop-Regeln
Nach dem Check-in wird die Gesamtgruppe in Zweiergruppen aufgeteilt, wobei es den Teilnehmenden überlassen ist, wer sich mit wem zusammentut. Die Regeln, nach denen diese Zweiergruppen arbeiten, sind für die folgenden vier Schritte des Beyond Leadership Workshops immer gleich: Es wird zunächst eine Frage gestellt, die von allen Zweiergruppen individuell parallel zueinander bearbeitet wird. Eine der beiden Personen beginnt und erhält zwei Minuten Zeit, um sich zu der gestellten Frage zu äußern. Die andere Person muss während dieser zwei Minuten unbedingt schweigen und sich auf das Zuhören konzentrieren, denn direkt anschließend muss die erste Person schweigen und die zweite Person, die zugehört hat, hat eine Minute lang Zeit, der ersten Person positives, achtsames und wertschätzendes Feedback zu geben. Kritik ist nicht erlaubt, auch wenn sie noch so nett und konstruktiv gemeint ist. Direkt im Anschluss wird gewechselt und die zweite Person erhält ebenso zwei Minuten, um die gleiche Frage zu beantworten, und bekommt danach von der ersten Person in gleicher Weise positives, achtsames und wertschätzendes Feedback. Nach dieser Übung in den Zweiergruppen bilden je nach Anzahl der am Workshop Teilnehmenden zwei bis vier der Zweiergruppen eine Reflexionsgruppe und tauschen sich darüber aus, was sie in den vorausgegangenen sechs Minuten erlebt und erfahren haben. Wichtig ist, dass alle Teilnehmenden der Reflexionsgruppe zu Wort kommen und ernstgenommen werden. Ist die Gesamtgruppe so groß, dass mehrere Reflexionsgruppen gebildet werden, erfolgt nach der Runde ein kurzer, moderierter Austausch zwischen den einzelnen Reflexionsgruppen.
Connect
Der Schritt, der für den Erfolg eines Beyond Leadership-Workshops am wichtigsten ist, kommt direkt nach dem Check-in und heißt Connect. Nach der bereits beschriebenen Aufteilung in die Zweiergruppen wird allen die Frage gestellt: «Wer bin ich und warum bin ich hier?» Damit ist nicht gemeint, sich über den beruflichen Status oder die erreichten Karriereerfolge auszutauschen, sondern darüber, welche Werte man hat, was einem besonders wichtig ist und worin das Herzblut steckt. Das kann einen beruflichen Kontext haben, genauso gut aber einen privaten, denn der zweite Teil der Frage «warum bin ich hier» zielt nicht auf die Situation des Workshops, sondern auf das eigene Dasein in der Welt. Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wie viele Menschen sich noch nie wirklich ernsthaft mit der Frage beschäftigt haben, warum sie überhaupt auf der Welt sind. Wichtig ist, dass es jedem Teilnehmenden ausdrücklich freigestellt ist, wie weit er seine Komfortzone verlässt und wie «tief» er die Frage beantwortet. Er wird selbst feststellen, dass er durch die «Tiefe» seines Beitrags die Qualität des wertschätzenden Feedbacks beeinflussen kann. Wer eher an der Oberfläche bleibt, erhält nur eine oberflächliche Wertschätzung. In der Reflexion wird regelmäßig deutlich, wie stark die Beschäftigung über sechs Minuten mit dieser Frage die Wahrnehmung zwischen den beiden betroffenen Personen verändert. Zum Beispiel berichten Menschen, die schon seit einigen Jahren miteinander gearbeitet haben, sehr oft in der Reflexionsrunde, dass sie in den sechs Minuten mehr über den Menschen, der ihnen gegenübersaß, erfahren haben als in den Jahren der gemeinsamen Teamarbeit. Sie erwähnen ebenfalls häufig, dass sie in dieser kurzen Zeit eine völlig neue Qualität in der Verbindung miteinander aufgebaut haben und dass sie mit der anderen Person in Zukunft nie mehr so werden umgehen können wie vorher. Deswegen heißt dieser Schritt im Beyond Leadership-Workshop „Connect“. Je nach Ziel des Workshops (Centerpoint) kann es ausreichend sein, die Connect-Übung zu machen, um einander vertiefter und auf eine neuartige Weise kennenzulernen. Nur wer die andere Person gut genug kennt, kann zu ihr ein belastbares Vertrauen aufbauen. Wenn wir gemeinsam etwas erreichen und miteinander wirkungsvoll kooperieren wollen, sollten wir uns immer mal wieder die Grundsatzfrage stellen: Kennen wir die Personen, mit denen wir kooperieren sollen, wirklich, oder nehmen wir nur den Teil der Persönlichkeit wahr, der zur Arbeitswelt gehört? Die Übung Connect ermöglicht dieses erweiterte Kennenlernen, weil sie die gegenseitige Wertschätzung ins Zentrum stellt. Wenn es also darum geht, die Zusammenarbeit zu ermöglichen oder zu verstärken, ist die Übung, idealerweise in Kombination mit einem vorausgehenden Check-in, ausreichend. Einige Firmen haben deswegen eine auf ihre Bedürfnisse angepasste Kombination von Check-in und Connect als Standard in ihre Unternehmenskultur integriert.
Align
Nach der Reflexion des Connect-Schrittes werden neu zusammengesetzte Zweierteams gebildet. Der Ablauf ist genau gleich wie beim ersten Schritt, nur die Frage ist diesmal: «Wer sind wir und was ist uns gemeinsam wichtig?» Durch die Erweiterung der Perspektive vom «ich» zum «wir» wird der Fokus auf die gemeinsamen Werte gelegt. In der Praxis haben wir immer wieder feststellen können, dass am Ende der Align-Übung eine für alle Beteiligten überraschend hohe Übereinstimmung bei den gemeinsam erarbeiteten Werten steht, und das sogar bei großen Gruppen von mehr als 100 Teilnehmenden. Das explizit gemachte Bewusstsein einer gemeinsamen Wertebasis ist die Voraussetzung für die Strategieentwicklung oder die gemeinsame Problemlösung. Wenn ich weiß, wer die anderen Teilnehmenden sind, wie sie «ticken» und welche Werte ich mit ihnen gemeinsam habe, dann kann ich mich ohne taktische Hintergedanken auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Centerpoint einlassen, die im folgenden Schritt Imagine vorgesehen ist.
Imagine
Im Imagine-Schritt, der sich an die Reflexion der Align-Phase anschließt, bleiben die Regeln gleich und die Zweiergruppen werden wieder neu zusammengestellt. Je nach Centerpoint könnte die Frage zum Beispiel lauten: «Wie können wir das Problem, wegen dem wir heute zusammengekommen sind, am besten gemeinsam lösen und welche Hindernisse müssen wir dabei aus dem Weg räumen?» Wichtig ist, dass die Frage, die gestellt wird, auf die Werteebene reflektiert. Was den Teilnehmenden während der Imagine-Phase in der Regel besonders auffällt, ist, dass die Ergebnisse, die sie miteinander erarbeitet haben, von allen Beteiligten auf die Sekunde genau gleich viel Input enthalten. Das ist eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zu klassischen Workshop-Formaten – dort sind die Teilnehmenden meistens sehr unterschiedlich stark involviert in die Lösungsfindung.
Commit, Act und Debriefing
Nach der Reflexion des Imagine-Schritts folgen zwei weitere Schritte, in denen es zunächst um das persönliche Commitment jedes Einzelnen geht (Phase Commit) und dann um eine Abstimmung der verschiedenen Commitments im Sinne einer abgestimmten Umsetzungsstrategie (Phase Act). Sehr wichtig ist der abschließende Schritt des Debriefings, bei dem jeder der Teilnehmenden kurz folgende Fragen beantwortet:
- Was war gut an unserem Beyond Leadership-Workshop?
- Was hätten wir gemeinsam besser machen können?
- Was haben wir miteinander gelernt?
- Was nehme ich für mich selbst aus diesem Workshop mit?
Wie bringt Fallstricke bei der Anwendung der Methode
In den ersten drei Schritten (Check-in, Connect, Align) eines Beyond Leadership-Workshops wird die Energie einer Gruppe langsam aufgebaut und gipfelt in einer sehr intensiven Begegnung mit sich selbst. Diese Phase ist die wertvollste, kann aber leicht zu einer Überforderung führen, wenn die sich immer stärker aufbauende Energie im Raum nicht genutzt werden kann. Der Moderation kommt deswegen eine elementare Rolle zu. Der Moderator oder die Moderatorin nimmt die Teilnehmenden Schritt für Schritt mit auf eine Reise zu ihrer Persönlichkeit und derjenigen ihrer Mitmenschen.

Dabei muss nicht nur der Prozess sorgfältig im Auge behalten werden, sondern es braucht auch ein ausgeprägtes Gespür für die entstehende Energie im Raum. Bei dieser Energie geht es um die bereits erwähnte psychologische Sicherheit, also darum, «dass alle Gruppenmitglieder während der Arbeit die gemeinsame Überzeugung teilen, dass die Gruppe sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen» (Edmondson 1999). Wenn es nicht gelingt, diesen Raum zu schaffen, in dem sich alle Beteiligten sicher fühlen, um sich frei und sehr persönlich zu äußern, besteht die Gefahr der Überforderung in zweifacher Hinsicht: Einerseits kann ohne psychologische Sicherheit Ernüchterung aufkommen, wenn die Gruppe merkt, dass sie das Ziel nicht wird erreichen können, weil einige der Beteiligten nicht bereit sind ihre Komfortzone auch nur geringfügig zu verlassen. Andererseits kann es für den Einzelnen zu einer Überforderung kommen, wenn er sich zwar gegenüber der Gruppe sicher fühlt, aber nicht abschätzen kann, was das Verlassen der Komfortzone bei ihm selber auslösen könnte. Rückblickend hat im Beispiel Transa das Unternehmen über diesen Weg gelernt, was es bedeutet, einen ergebnisoffenen Prozess zu gestalten bzw. was experimentieren bedeuten kann:
- Methode kennen lernen
- Initialworkshop durchführen
- Eine Weiterverbreitung im Unternehmen testen
- Aufkommende Spannungen ernst nehmen und Elemente, die sich weiterentwickeln lassen «wollen», stärken und im Alltag integrieren.
Regelmäßige Reflexionen zum Prozess lassen erkennen, ob die neue Methode als Ganzes, nur Teile davon oder gar nichts übernommen werden kann. Etwas auf organische Weise entstehen zu lassen, kann nicht mit einem Projekt verglichen werden und dauert Monate. Genau das ist das Ziel von Beyond Leadership. Die Mitglieder einer Organisation sollen den Kern des Ansatzes durch eigene Erfahrung verstehen, die Energie erleben und die gewonnenen Erkenntnisse in die DNA ihres Unternehmens integrieren. Welche Begriffe sie dabei verwenden, ist zweitrangig. Bei Transa waren es zum Beispiel das Check-in/Check-out, das bedingungslose Zuhören und das positive, wohlwollende Feedback, die heute selbstverständliche und tragende Elemente der Unternehmenskultur sind. Mittlerweile ist dort auch die Pause beim Einsatz des kompletten Beyond Leadership-Kreislaufs beendet worden. In ausgewählten Workshops und Schulungen wird er erfolgreich eingesetzt. Das Transa-Team ist davon überzeugt, einen Weg gefunden zu haben, die «Power of Connect», wie es der Erfinder Patrick Cowden beschrieben hat, wirkungsvoll und neben anderen Methoden gezielt einzusetzen, ohne dass sie als Doktrin oder gar Religion empfunden wird und schon gar nicht als etwas, das die alte Hierarchie dem Betrieb «unorganisch» aufgedrückt hätte.
Erfahrungen der Transa Backpacking AG mit der Beyond Leadership-Methode
Seit das Unternehmen Transa, eine führende Schweizer Anbieterin hochwertiger Travel- & Outdoorausrüstung, existiert, haben die Menschen in und um Transa ihre persönlichen Überzeugungen, Werte und Wahrnehmungen von Markt und Mitarbeitenden fast schon eigenwillig und immer etwas anders in ihr eigenes Betriebssystem integriert. Dieses zur Tradition gewordene Vorgehen ist heute wichtiger denn je. Die Frage ist, für was das Unternehmen mit stationärem Handel und über 400 Mitarbeitenden einstehen soll, wenn sich der Markt explosionsartig verändert, und wir, die Menschen, damit einen Umgang finden müssen. Neuartige Ansätze, die sich rund um die Bewegung «Reinventing Organisations» (Laloux 2015) entwickelt haben, erlauben es, eine Vielzahl von Menschen, die andere Wege in der Gestaltung der Arbeitswelt suchen, zu vereinen. Menschzentrierte Methoden und Vorgehensweisen sind in großer Vielfalt einfach zugänglich geworden. In der Beyond Leadership-Methode sah Transa das Potenzial, den Menschen tief in seiner Persönlichkeit zu berühren. Wenn sich die Mitarbeitenden darauf einlassen würden, passte sie zum eingeschlagenen Weg.
Wie die meisten Unternehmen war es auch Transa gewohnt, neue Ideen, Konzepte oder Initiativen über den herkömmlichen Weg der Hierarchie in alle Bereiche des Systems zu bringen. Wenn aber die Mitarbeitenden selber erleben sollten, wie wichtig und wertvoll die neue Methode für sie persönlich und somit für das Unternehmen ist, kommt die traditionelle Hierarchie an ihre Grenzen, denn genau diese gewohnte Entscheidungshierarchie sollte gebrochen werden. Wie kann ein neues Denken wirksam im Unternehmen verbreitet werden? Wie werden neue Ansätze erlebbar und wieviel Zeit wird benötigt, bis die Methode zum Selbstläufer wird, weil die Mitarbeitenden sie als wertvollen Bestandteil in das gelebte Betriebssystem aufgenommen haben? Aufgrund dieser Fragen erachtete das dreiköpfige Initiatoren-Team die Implementierung im Rahmen eines typischen Projektes als nicht passend. Da jedoch die Erfahrung für ein klares, alternatives Vorgehen fehlte, blieb dem Team nur der Weg des experimentellen Schritt-für-Schritt-Vorgehen. Dieser ergebnisoffene Prozess konnte, wie gewünscht, mit der Einführung der Methode enden, aber genauso gut ein Scheitern bewirken bzw. eine neue, nicht vorhersehbare Form annehmen. Regelmäßige und intensive Reflexionsrunden zur Entwicklung des Prozesses sollten den Weg weisen.
Ein Initialworkshop machte die Methode Beyond Leadership einer kleinen Gruppe von Schlüsselpersonen zugänglich und ermöglichte es, erste Erfahrungen auszutauschen. Beeindruckt durch den gewaltigen Energieschub und die entstandene persönliche Verbindung der Teilnehmenden bestätigte sich, dass diese Methode etwas bietet, das für die laufende Transformation von großem Wert war. Um dieses Gefühl, die Verbundenheit und zielorientierte Arbeitsmethodik im Unternehmen zu verbreiten, wurde der Teilnehmerkreis für weitere Vorstellungsworkshops vorsichtig erweitert. Wiederum setzte die unglaublich energetische und verbindende Wirkung ein.
Eine nächste Runde fand mit einem noch größeren Personenkreis statt. Nach diesem dritten Durchgang wurden aber auch kritische Stimmen hörbar. Erstaunlicherweise nicht von neuen Teilnehmenden, sondern von Personen, die bereits an vorherigen Runden teilgenommen hatten. Sie erlebten erneut die starke Verbindung und konnten beobachten, wie neue Teilnehmende ebenfalls davon berührt wurden. Das wiederholbare intensive Erlebnis mit sich und seinen Kollegen wirke irgendwie unheimlich und böte das Risiko, dass sich etwas Sektenartiges entwickeln könnte, so die kritischen Stimmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Methode der größtmöglichen Spannung ausgesetzt und war im Einführungsprozess an einem kritischen Punkt angelangt.
Das Initiatoren-Team war einerseits bestärkt, eine äußerst wertvolle Methode gefunden zu haben, nahm andererseits die kritischen Stimmen aber sehr ernst. Es entschied eine Pause einzulegen, um die gemachten Erlebnisse im Unternehmen stehen und wirken zu lassen. Dies verschaffte sowohl dem System wie auch den Menschen die nötige Zeit, um die Entwicklung zu verarbeiten. Gleichzeitig konnte die Methode geschützt werden. Wenn das Modell als «eines unter vielen» Instrumenten eingeführt wird, kann es an dieser Beliebigkeit scheitern, weil dann nicht deutlich genug wird, dass es nicht nur darum geht, eine gemeinsame Teamerfahrung zu machen. Beyond Leadership bringt bei einer konsequenten Nutzung der entstehenden Energie eine neue, ganzheitlichere Wahrnehmung der Kolleginnen und Kollegen und damit ein Qualitätsniveau der Zusammenarbeit, das die Beteiligten in dieser Form noch nicht erlebt haben.
Es galt also über eine ungewisse Zeit einen anderen, kleineren Schritt zu gehen, um Beyond Leadership wirkungsvoll und passend einzusetzen. Das Initiatoren-Team hat die Workshops intensiv reflektiert und die Methode in ihren Einzelteilen betrachtet. Dabei wurde klar, dass es den Teilnehmenden bei den Schritten Check-in bzw. Check-out und den Reflexionen in Kleingruppen am einfachsten fiel, sich zu öffnen und persönlich einzugeben. Allein mit diesen Elementen üben sich die Teilnehmenden intensiv darin, sich mitzuteilen, bedingungslos und unkommentiert zuzuhören sowie Feedback zu geben. Elementare Bestandteile, die in einer Organisationsform mit gebrochener Entscheidungshierarchie die Basis für gleichwertigen Umgang bieten. Aus diesem Grund sollten genau diese Elemente gestärkt werden und im Alltag an beliebigen operativen Meetings und Workshops ihre Anwendung finden. Über die Zeit wurden sie zum «normalen» Bestandteil eines Meetings.
Dieses Vorgehen ermöglichte es Transa einerseits Einzelteile der Methode zu implementieren und andererseits das Verständnis und den neuen Umgang miteinander langsam und organisch in das Betriebssystem des Unternehmens zu übernehmen — ein Einführungsprojekt hätte dieses Vorgehen durch die vorgegebene Zeitplanung mit großer Wahrscheinlichkeit verunmöglicht.
Autoren
Matthias Mölleney, HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, Leiter des Centers for HRM & Daniel Humbel, CEO Transa Backpacking AG & Martin Eisenhut, Host & Learn, Transa Backpacking AG
Literatur
- Alvesson, M., Blom, M. & Sveningsson, S. (2017). Reflexive leadership: Organizing in an imperfect world. SAGE Publications.
- Cowden, P. D. (2018). www.beyond-leadership.de
- Gibson, C. (2020). From «Social Distancing» to «Care in Connecting»: An Emerging Organizational Research Agenda for Turbulent Times. In: Academy of Management Review, Guidepost for June 2020.
- Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams, Administrative Science Quarterly, 1999, Vol. 44, No. 2, S. 350—383.
- Edmondson, A. C. & Dörffer, T. (2018). Selbstverständlich fehlbar — Psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktor für High Performing Teams. OrganisationsEntwickung, Heft 3, S. 19—23.
- Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, Vahlen.
- Mölleney, M. & Sachs, S. (2019). Beyond Leadership. SKV Verlag.
- Winkler, B. (2016). Effektive Google-Teams. OrganisationsEntwicklung, Heft 1, S.111.
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