Wie wir lernen, wer wir sind!Julia von Winterfeldt (Founder & CEO, SOULWORX)

Ein ganzes Bündel an Faktoren treibt die aktuelle Purpose Diskussion voran: u.a. die Disruption ganzer Geschäftsmodelle, die voranschreitende Digitalisierung, der zunehmende Fachkräfte- und Talente-Mangel, neue agile Arbeitsformen, kundenzentriertes Vorgehen und nicht zuletzt die Orientierungskrise des postmodernen Individuums selbst, das zwischen Allmachts- und Ohnmachtsgefühlen hin- und herschwankt.
All dies führt zu einer zunehmenden (Selbst-)Verunsicherung der Menschen und liefert die Begründung, warum in der Wirtschaftswelt so intensiv wie seit langem nicht über den „purpose“ (Sinnzweck) unternehmerischen Handelns diskutiert und gestritten wird. Interessanterweise gibt es keinen einzelnen Begriff in der deutschen Sprache, der das Begriffsfeld purpose im Unternehmenskontext wirklich umfassend abdeckt: Sinn, Seinszweck, Sinnhaftigkeit, Selbstverständnis oder Zielausrichtung beschreiben es nur ungenügend. Aber im Kern geht es doch immer um ein zentrales Thema: eine überzeugende Antwort zu finden auf das Warum und Wozu, welches das gemeinsame Handeln motiviert und begründet.
Die Antwort auf diese Frage hat die Unternehmenswelt mit einer Wucht erfasst, vor der Führungskräfte kaum mehr die Augen verschließen können. Zu verlockend das Versprechen: mit purpose kann der Grundstein für die Zukunftsfähigkeit der Organisation gelegt werden wie auch für die Führung, der eigenen Macht wieder mehr Sinn und Zweck zu verleihen.
Die Reisebeschreibung für unternehmerische Sinn-Suchende.
Nur wie lernen wir, warum und wozu wir sind? Als Individuum? Als Team? Als Organisation? Und letztendlich auch als Gesellschaft? Kann ein gut geschriebener purpose allein alles verändern? Natürlich nicht. Wie auch?! Wer kennt sie nicht, die wohl formulierten Pamphlete über “Unsere Werte”, die lieblos und unbeachtet auf angegilbten Postern an irgendwelchen Unternehmenswänden hängen. Ebenso wenig bewegt ein purpose statement Bildschirmschoner, nur weil das jetzt hipper und zeitgeistiger klingt.
Erst die konsequente Übersetzung in nachhaltiges, unternehmerisches Handeln kann dem purpose einen echten Wertschöpfungseffekt verleihen. Hier gilt die Aufforderung gerade den Führungskräften, hinter all den operativen Erfordernissen einen höheren Zweck zu erkennen und glaubhaft und wahrhaftig zu vertreten. Mit einem hohen Grad an Verantwortungsbewusstsein, Selbstführung und auch Selbstmotivation, was keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf. Und genau da beginnt die Lernreise!

Eine Lernreise, die immer im Inneren beginnt. SOULWORX nennt es PurposeQuest, die systematisch in vier aufeinander aufbauenden Lernmodulen (Pre-Purpose – Discovery – Impact – Action) ausgeführt werden kann, die aber innerhalb der einzelnen Module nicht nur linear zu denken sind und auch nach Abschluß der Lernreise ein kontinuierliches Weiterlernen erfordert. Denn die vier Lernmodule gestalten sich kollaborativ und partizipativ und können, abhängig von der Teamzusammenstellung und ‑dynamik, mal kürzer, mal länger verlaufen und bedürfen Iterationen, um Inhalte zu festigen bzw. jeden Reisenden auf dieser Lernreise mitzunehmen. Dabei ist das Vorgehen nicht allein logisch-rational, sondern auch intuitiv angelegt. Zu glaubwürdigen Ergebnissen zu kommen, bedarf es eben echter innerer Arbeit. Die innere Arbeit, zunächst das Gelernte loslassen, sich Ängsten, Blockaden und alten Glaubenssätzen zu stellen, bevor wirklich Neues gefühlt, gedacht, gelernt werden kann.
Der Reisende wird aufgefordert, sich ganz zu öffnen, um zu neuen Lernerfahrungen zu kommen. Um im wertschätzenden und empathischen Miteinander neue, tragende und nachhaltige Erkenntnisse zu gewinnen. Über sich, wie auch über die Gemeinschaft (das Team, das Kollektiv, die Organisation). Gerade die echte Begegnung und der offene, gemeinsame Dialog, gepaart mit (De)Mut und Neugier, erlauben es, gemeinschaftlich die Vergangenheit aufzuarbeiten, die Gegenwart zu erkennen und die Zukunft unternehmerisch neu zu denken und neu anzugehen.
Es ist Arbeit. Aber gut investierte Arbeit, die es erlaubt, zukünftig schneller, effektiver und mit mehr Klarheit und Fokus handeln und agieren zu können. Allerdings ist die Anschlussreise – sobald die vier Module dieser purpose Lernreise abgeschlossen sind – alles andere als einfach. Denn dann beginnt das Abenteuer, die erarbeiteten Inhalte ins Kollektiv und die Organisation hineinzutragen, das neue Selbstverständnis in die bisherigen Strukturen, Prozesse oder Räumlichkeiten zu integrieren und so auch den unternehmerischen Wandel auf Basis eines definierten purpose für alle klar, spürbar und erlebbar zu machen.
Die Checkliste für unternehmerische Sinn-Suchende.
(1) Die Reisevorbereitungen | Pre-Purpose
- Zu überprüfen, braucht es wirklich einen purpose? Gibt es eine klare Herausforderung in der Organisation, die mittels purpose gelöst werden kann? Und welches Zielbild wird damit angestrebt?
- Möchte das Leadership Team den eigenen unternehmerischen purpose wirklich (wieder) ins Zentrum ihres Tuns und Handelns setzen? Herrscht ein Konsens, eine leidenschaftliche Überzeugung zu diesem Thema? Oder läuft die ganze Initiative purpose Gefahr, lediglich für Employer Branding, ein “purpose washing” oder andere Marketingzwecke ausgenutzt zu werden?
- Wie steht es mit der Selbstführung und Selbstmotivation der Führung? Ist der Führung ihre eigene Bestimmung und innerer Kompass bewusst? Ist sie von innerer Stabilität, Verantwortungsbewusstsein, (De)Mut, Offenheit und Unternehmergeist beseelt, um einen echten und wünschenswerten Beitrag zur Entdeckung, Aktivierung und Umsetzung eines purpose zu leisten.
- Herrscht grundsätzlich der Wunsch nach Veränderung und Verantwortung in der Organisation? Wie steht es mit der Kultur?
- Welche Ängste bzw. mögliche Glaubenssätze oder Barrieren stehen der Belegschaft, dem Führungsteam im Weg, um in Zukunft wirklich purpose-bezogen zu agieren?
- Wer geht aktiv auf diese Lernreise mit? Kann ein guter Querschnitt der Organisation gebildet werden? Wie kann die Reise gestaltet werden? Physische Workshops? Online? Und wie wird die restliche Mannschaft mittels transparenter Kommunikationsplanung begleitend mitgenommen?
Purpose ist nicht statisch, sondern ein beständiger Teil der Führungsarbeit. Ohne eigenen inneren Kompass und eine leidenschaftliche Überzeugung der Führung ist es höchst unwahrscheinlich, sich selbst und andere zu Höchstleistungen zu führen. Die Führung muss es wollen, denn die Konsequenzen eines ganzheitlichen purpose-denkens verändern den Blick auf Führung. Weg von hierarchischem Denken und Status, hin zu der Ausrichtung an einem übergreifenden Zweck. Das bedarf einer bewussten Entscheidung.
(2) Unser authentisches Selbstverständnis entdecken | Discovery
Ein als sinnvoll erfahrener purpose ist Quelle und Ergebnis jeder organisationalen Wertschöpfung in einem.
- Unter dem Motto ‚wir haben was entdeckt’ – aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – ist der purpose authentisch und kommt er wirklich aus dem Inneren des Unternehmens?
- Ist er klar, einfach und fassbar, also in keinem Fall abstrakt und abgehoben? Ein Beispiel dafür die Marke «Patagonia», eine Outdoor-Kleidermarke, die sich den purpose gegeben hat «to save our home planet.»
- Ist er nahezu individuell, genügt aber zugleich weithin anerkannten Werten in der Organisation?
- Weist er auf die Zukunft und/oder Lösung eines gesellschaftlichen Problems hin? IKEA definiert als purpose «to create a better everyday life for the many people.».
- Sind Mission und Vision der Organisation auch auf den purpose ausgerichtet bzw. muss der Kontext (Mission) angepasst und die Vision neu formuliert werden. Bleiben wir beim Beispiel IKEA:
- purpose: «to create a better everyday life for the many people.»
- mission: «change forever the structure of the furniture market.»
- vision: «to reach millions of hearts and homes all over the world.»
Der entdeckte purpose wird nur dann positiv auf alle Stakeholder abstrahlen, wenn er nicht nur die oben genannten Kriterien erfüllt, sondern auch ein schlüssiges Gesamtbild des Selbstverständnisses wiedergibt. Sonst wird der purpose schnell als Mogelpackung entlarvt und nicht nur seinen Zweck verfehlen, sondern im Gegenteil bewirken, dass Resilienz und Glaubwürdigkeit des Unternehmens nachhaltig Schaden nehmen. Also: purpose ja, aber nur, wenn er Sinn macht.
(3) Unsere Wirkungskraft bewusst machen | Impact
purpose hat nur so viel Kraft, wie er wirkt.
- Mit welchen Werten (Values) wird dieser purpose von der Mannschaft auch gegenüber externen Stakeholdern getragen?
- Organisationen existieren nicht allein deshalb, weil sie effiziente Produkte und Dienstleistungen produzieren, sondern ihre Existenz begründet sich auf einer grundsätzlichen Ebene aus einem gesellschaftlichen Rückhalt. Welchen Wertbeitrag und Nutzen (Strategic Value) stellt dieser purpose seinen Stakeholdern – Mitarbeitern, Kunden, Partnern, Zulieferern, Gesellschaft – gegenüber?
- Hat der purpose Auswirkungen auf das eigene Produktportfolio welche konkreten Ziele (Goals / Offering) gilt es anzugehen, damit das neue Selbstverständnis auch eingelöst wird?
Eine Organisation ist dann zukunftsfähig, wenn es ihr gelingt, sich zu einer Institution zu entwickeln, die sich bei allem Wandel auf einen sie charakterisierenden Kern (Selbstverständnis) beziehen kann – inklusive Werten und Normen, Wertbeitrag und gesellschaftlichen Nutzen. Die Balance zwischen Kontinuität und Wandel wird durch diesen authentischen purpose ermöglicht, der die Vergangenheit mit der Gegenwart und der angestrebten Zukunft verbindet.
(4) Unsere Handlungskraft beschreiben | Action
Damit es nicht bei leeren Versprechen bleibt, gilt es zum Abschluss der Lernreise zu schauen, welche Handlungsmöglichkeiten anzugehen sind, um das ursprüngliche Zielbild und die Überwindung der ursprünglichen Herausforderung mittels des neuen Selbstverständnisses, basierend auf purpose zu ermöglichen. Was kann in der täglichen Arbeit wie auch im Arbeitsumfeld spürbar und erlebbar gemacht werden, um effektiv (welchen Weg) und effizient (mit welchen Mitteln) weiter zu gehen.
- Müssen Strukturen umgestellt werden?
- Bedarf es eines neuen Verständnisses von Rollen und Verantwortlichkeiten?
- Wie können Begegnungen neu definiert werden? Neue Rituale? Neue Kreise? Neue Gemeinschaftsbildungen?
- Braucht es neue Prozesse? Agile Arbeitsprozesse oder konkret ein neuer Recruiting Ansatz?
- Würde eine neue Raumgestaltung wirksam einen Beitrag zum größeren Ganzen erzielen? Oder bedarf es ein Upgrade von Tools und Technologien?
Viele Wege führen nach Rom, aber viele Wege führen auch daran vorbei! Auf jeden Fall wird die Koordination der möglichen Veränderungen wesentlich erleichtert durch eine Kultur, in der ein von allen geteilter purpose die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bildet. Wie gesagt, die echte Reise beginnt eigentlich erst nach den vier Lernmodulen: den Weg einschlagen und kontinuierlich Lernen.

Julia von Winterfeldt gründete die Strategie und Purpose Beratung SOULWORX in 2015. Die Unternehmung verfolgt die Mission, Menschen ein nachhaltig besseres, sinnerfülltes Arbeitsleben mit Sinn, System und Seele zu ermöglichen.
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